Die Prophezeiungen

Alois Irlmaier, ein einfacher Brunnenbauer aus Freilassing im Berchtesgadener Land, war ohne Frage ein außergewöhnlicher Mensch, der die Gabe der Prophetie besaß. Er war nachweislich in der Lage, Menschen Informationen über im Krieg verschollene Angehörige zu geben oder vorauszusagen, welche Gebäude durch Luftangriffe im Krieg beschädigt würden und welche nicht. Seine Voraussagen konnten vielfach bestätigt werden. In der Geschichte gab es immer wieder bedeutende Propheten oder Seher, Nostradamus sei namentlich erwähnt. Nach eigener Auskunft konnte Irlmaier vor sich eine Art Nebel sehen und die prophetischen Bilder traten einfach so vor sein geistiges Auge. Dazu reichte schon ein Bild dieser Person oder ein Gegenstand, der dieser Person gehörte. Zeitweise empfand Alois Irlmaier diese Gabe auch als Last. Bereitwillig nutzte er aber diese Fähigkeit, um seinen Mitmenschen zu helfen, Mord- oder Raubfälle aufzuklären oder auch die Politik zu beraten.

Nach dem Krieg hatte Irlmaier vereinzelt Visionen über die Endzeit, die er in einzelnen Phrasen wiedergab und die er verschiedenen Menschen mitteilte, die sie später veröffentlichten. Grob gesagt ging es um einen sogenannten Dritten Weltkrieg, der sich an einem Konflikt am Balkan entzünden würde und sich dann plötzlich und unerwartet auf ganz Europa ausbreiten würde und zunächst einen Flächenbrand auslösen würde. Die Angreifer würden jedoch schnell zurückgeschlagen und alles würde schließlich in einer neuen Ära der gegenseitigen Wertschätzung und Frieden münden. Besonders markant sind Voraussagen über eine sogenannte dreitägige Finsternis. Irlmaier gab klare Anweisungen, wie man sich zu verhalten habe. So solle man mit schwarzer Pappe die Fenster verhüllen, eine geweihte Kerze anzünden und mit Gebeten die Dämonen von sich fernhalten. Außerdem solle man alle Fenster und Türen geschlossen halten, da jedes Einatmen der aufgewühlten Atmosphäre während dieser drei Tage zum sofortigen Tode oder Siechtum führen würde. Während der ganzen drei Tage sei der Himmel verdunkelt und kein Lichtschein sichtbar. Interessanterweise gibt es ähnliche Hinweise auf eine solche dreitägige Finsternis in der Offenbarung des Johannes, den Haddithen von Mohammed oder bei Aussagen diverser Seher vergangener Zeiten.

Die Visionen, insbesondere über den Dritten Weltkrieg, wurden in einem kleinen Band veröffentlicht und bis zu 500.000 mal verkauft. Da damals in den Fünfziger Jahren gerade kalter Krieg war, vermutete man, die Voraussagen bezögen sich auf die damalige Zeit. Als die Vorhersage jedoch nicht eintraf, wurde es zunächst still um Alois Irlmaier. Stephan Berndt, seines Zeichens Prophetie-Forscher, begann in den Neunziger Jahren eine Datenbank über viele Prophezeiungen, die insbesondere Europa und Deutschland betrafen, aufzubauen und Querverweise zwischen diesen Visionen zu ziehen und einen roten Faden zu finden. Jedoch verrannte er sich ohne jeden Grund darin, nicht nur allein die Prophezeiungen gelten zu lassen, sondern reicherte sie mit eigenen abstrusen Gedanken und Vorhersagen an. Akribisch versuchte er, die Visionen zu deuten und fortzuspinnen. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen, reicht die Aussage, dass dies ein sehr gefährliches Unterfangen ist. Ohne ihm unterstellen zu wollen, mit seinen zahlreichen Büchern und Videos zum Thema sich persönlich bereichern zu wollen, sieht er sich wohl eher als so etwas wie ein Wahrheitssucher oder Weltverbesserer, der den Menschen den rechten Weg weisen will. Unter seiner Fassade mag wahre Sorge um das Schicksal der Menschheit versteckt sein.

Was das Ganze jedoch so gefährlich macht, ist, dass alles, was wir denken, fühlen und für wahr halten, auch tatsächlich manifestiert werden kann. Da man die Aussagen von Stephan Berndt leider nicht nachprüfen kann und nicht jeder selbst sich die Mühe machen kann über Alois Irlmaier nachzuforschen, werden die Gedanken von Stephan Berndt allzuleicht ins Feld gegeben und jeder, der sich mit der Thematik beschäftigt und diese Gedanken verstärkt und mit Emotionen belegt, sorgt dafür, dass tatsächlich auch genau dies Realität werden könnte. Prophetie ist ein zweischneidiges Schwert. Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, dass man die Zukunft teilweise vorhersagen kann, zum anderen sorgen wir selbst dafür, dass Vorhersagen eintreffen, wenn wir an sie glauben und auf diese Weise manifestieren. Ziel vieler Medien ist es nichtzuletzt, das aktuelle Weltgeschehen immer wieder neu in den Köpfen aller zu spiegeln und damit, indem die entsprechenden Gedanken und Emotionen ins Feld gegeben werden, immer wieder neu zu manifestieren. Damit wird jeder, der unbewusst, bereitwillig und sorglos Inhalte, sei es auch nur im verstohlenen Vorbeigehen, registriert und unbewusst mit Emotionen belegt und diese ins Feld schickt, zu einem Schöpfer dessen, was er eigentlich fürchtet und nicht haben will. Es ist sicher kein Zufall, dass sich zurzeit ständig Katastophenmeldungen über Katastrophenmeldungen häufen. Solange Menschen in Angst und Stress gehalten werden, können sie nicht selbstbewusst, klar und autonom denken und handeln.

In fast schon paranoiden Gedankengängen gefangen, versuchte Stephan Berndt, aufbauend auf mittelalterlichen und neuzeitlichen Prophezeiungen über England, Frankreich, Deutschland und Italien, akribisch eine Abfolge und mögliche Vorzeichen zu sammeln, die angeblich auf einen Dritten Weltkrieg hinweisen sollen. Was das Ganze jedoch so brisant macht, ist, dass gewisse Vorhersagen tatsächlich bereits eingetroffen sind. So war ein bestimmtes Vorzeichen (das erste) nach Alois Irlmaier eine Periode hoher Inflation in Europa und besonders in Deutschland, was aber auch reiner Zufall sein könnte oder auf intelligentem Raten beruhen könnte. Da dies tatsächlich bereits eingetroffen ist, schenkt man leichtfertig auch allen anderen Punkten Glauben und insbesondere den Gedankengängen von Stephan Berndt. Stephan Berndt ging sogar so weit, dass er detailliert ganze Aufmarschwege der Ostmächte skizzierte, sogar mit Divisionsstärke, Kampfkraft und Vorstoßrichtung. Er ließ es sich nicht nehmen, sich gleichzeitig dabei Gedanken über die Truppenstärke, Kampfmoral und Verteidigungsstärke der europäischen Verteidigungskräfte zu machen. Einzelne Sätze, ob sie tatsächlich von Alois Irlameier stammen oder nicht, was keiner nachprüfen kann, da sie von Dritten veröffentlicht wurden, werden aus dem Zusammenhang gerissen und in einer tollen Geschichte verwoben, die stimmig und schlüssig zu sein scheint.